Die Krise als Katalysator – Veränderungen durch Corona
Noch leidet die Welt unter den Belastungen der Corona-Krise. Noch steigen in vielen Ländern die Zahlen der Erkrankten. Zwar öffnen Betriebe und Unternehmen langsam wieder ihre Büros und Anlagen, aber noch kann niemand sicher abschätzen, ab wann wieder normal gearbeitet werden kann. Viele Mitarbeiter sind noch im Homeoffice, Geschäftsreisen wurden abgesagt und Meetings in virtuelle Räume verlegt. Alle, Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, warten darauf, dass die Einschränkungen des öffentlichen Lebens zurückgenommen werden und das Leben wieder in seine gewohnten Bahnen zurückkehrt.
Aber unabhängig von der Gefahr einer zweiten Infektionswelle: ist diese Hoffnung auf eine Rückkehr zur Vor-Corona-Zeit realistisch? Wird die Welt nach Corona die gleiche sein wie zuvor?
Wenig spricht dafür. Corona wird ein Katalysator sein, der bereits sich davor abzeichnende Entwicklungen verstärkt und beschleunigt. Was bereits erkennbar ist, ist dass das Thema Digitalisierung und alle damit verbundenen Techniken als große Gewinner aus der Krise hervorgehen werden. Homeoffice, bis vor kurzem in vielen Unternehmen völlig undenkbar, wird eine normale Arbeitsform. Videokonferenzen, bis vor kurzem eine ungeliebte Zumutung, werden zunehmend als Möglichkeit wahrgenommen, die Zahl der Flüge und Geschäftsreisen zu reduzieren. Die technische Ausstattung in Schulen mit Tablets und Lern-Apps, bis kurzem an technischem Desinteresse vieler Schulen und an mangelnden finanziellen Mitteln gescheitert, wird stark zunehmen und neue Formen des Lernens etablieren. So werden derzeit Videokonferenztechniken wie Zoom, Teams oder Webex auf den Unterricht übertragen, um auch in Zeiten einer landesweiten Quarantäne den Kontakt zwischen Lehrern und Schülern nicht völlig abreißen zu lassen.
Welche Auswirkungen diese Veränderungen in der Immobilienwirtschaft haben, kann noch niemand seriös beziffern. Aber es zeigen sich Tendenzen, die auf möglicherweise grundlegende Änderungen hinweisen. Wenn Unternehmen positive Erfahrungen mit dem Arbeiten im Homeoffice gemacht haben, so liegt die Überlegung nahe, zu hinterfragen, ob man nicht mit reduzierten Büroflächen ebenso erfolgreich arbeiten kann. Homeoffice kombiniert mit einer flexiblen Büroflächennutzung wie Desk Sharing könnten dazu führen, dass der Bedarf an Büroflächen sinkt, was gerade in teuren Innenstadtlagen zu spürbaren Einsparungen führen könnte.
Auch ein möglicherweise geändertes Reiseverhalten kann nachhaltige Spuren im Bereich Hotellerie hinterlassen. Wenn man bisher z.B. die größte Gefahr für Ressorthotels auf den Malediven in steigenden Meeresspiegeln sah, so ist das Problem, dass die Gäste aufgrund restriktiveren Vorgaben für den Flugverkehr gar nicht mehr anreisen können, derzeit größer. Der Wegfall einer Vielzahl von beruflich veranlassten Reisen, wie kürzlich von der Deutschen Bank bereits angekündigt, können Hotels mit Fokus auf Geschäftsreisen in wirtschaftliche Bedrängnis bringen. Gleiches gilt für Konferenzhotels, die möglicherweise durch verstärkte Anwendung von internetbasierten Konferenzlösungen auf einen Teil ihrer alten Umsätze werden verzichten müssen.
Auch im Einzelhandel wird die Krise Spuren hinterlassen. Der Onlinehandel erfährt derzeit einen starken Schub. Solange die Läden geschlossen waren, versorgten viele Onlinehändler ihre Kunden mit den gewünschten Waren. Viele Menschen haben dadurch ihre Scheu vor dem Internethandel verloren und viele werden diese neue Einkaufsform auch nach der Krise beibehalten, was auf Kosten des stationären Handels geht. Dieser muss versuchen, durch neue und überzeugende Einkaufserlebnisse dem Kunden einen Mehrwert über den reinen Warenverkauf zu bieten, womit der Onlinehandel nicht konkurrieren kann. Aber vielleicht beschleunigt sich lediglich die Entwicklung Richtung Multi-Channeling, wo die Läden mehrere Vertriebskanäle bespielen, und Online- und Offlinehandel nebeneinander bestehen.
Dass diese Verlagerung des Handels auf Onlineplattformen auch Konsequenzen für die Logistik und Distributionszentren hat, liegt auf der Hand. Derzeit sind Lagerflächen massiv nachgefragt. Aufgrund baurechtlicher Restriktionen sowie zurückhaltender Grundstücksbereitstellung der Gemeinden, die den großen Flächenbedarf bei nur geringem Arbeitsplatzangebot kritisch sehen, übersteigt die Nachfrage nach derartigen Immobilien das Angebot. Im Moment kommt verschärfend hinzu, dass viele produzierende Unternehmen diese Objekte als Zwischenlager nutzen müssen, da ihre Waren in den geschlossenen Läden nicht verkauft werden konnten. Allerdings dürfte dies nur ein vorübergehender Effekt sein, der jedoch nichts an dem gestiegenen Gesamtbedarf an modernen Logistikimmobilien ändert.
Und die Verwaltung? Was passiert in den Amtsstuben? Werden dort nach wie vor Akten in Papierform von Büroboten hin- und her bewegt? Endet der Arbeitstag weiterhin pünktlich um 16 Uhr? Feiert der Ärmelschoner Urstände?
Unabhängig von aktuellen Krisen und erregten Diskussionen um neue Lebens-, Lern- und Arbeitsmodelle ist gerade im Bereich der kommunalen Verwaltung ein umwälzender Prozess in Gang gekommen, der das Potential hat, das Verhältnis zwischen Bürger und Staat nachhaltig zu verändern.
Beispiel Brandis in Sachsen: die Stadt profitiert von ihrer Lage nahe Leipzig und verzeichnet eine starke Nachfrage nach Gewerbeflächen. Die Stadt nutzt die Möglichkeiten, die die technischen Mittel bieten. So wurden viele Verwaltungsprozesse digitalisiert und Ausdrucke in Papierform weitgehend verbannt. Vom Rat der Stadt bis zum Bauhof sind die Beteiligten elektronisch verknüpft, öffentliche Bereiche für alle zugängliche WLAN-Zonen. Die Bürger können sich über eigens entwickelte Portale direkt an die Verwaltung wenden, Mängel benennen und Vorschläge machen. Aus der abstrakten Obrigkeit wird eine Verwaltung auf Augenhöhe.
Unterstützt wird diese Entwicklung vom Onlinezugangsgesetz (OZG)[1], welches 2017 beschlossen wurde, und den Bund, die Länder und Kommunen verpflichtet, alle ihre Leistungen bis 2022 auch in digitaler Form anzubieten. Dazu wurden insgesamt 600 Verwaltungsleistungen identifiziert, die im sogenannten OZG-Umsetzungskatalog in 35 Lebens- und 17 Unternehmenslagen gebündelt sind. Bei der Aufstellung dieses Katalogs wurde versucht, die Perspektive der Nutzer – also der Bürger und Unternehmen – einzunehmen, und weniger die behördlichen Zuständigkeiten als Maßstab zu nehmen. Bereits dies zeigt einen Perspektivwechsel, der viele der Verwaltung kaum zugetraut hätten: man orientiert sich am Kunden und weniger an internen Prozessen und Verwaltungsvorgaben.
Der föderalen Struktur Deutschlands folgend werden die OZG-Leistungen in zwei Programmen umgesetzt, wobei sich das eine an den Leistungen des Bundes orientiert („Digitalisierungsprogramm Bund“), während das zweite sich um die Kompetenzen und Leistungen der Länder und Kommunen kümmert („Digitalisierungsprogramm Föderal“). Bei letzterem werden einzelne Länder eine Vorreiterrolle einnehmen und ihre Erkenntnisse und Lösungen den übrigen Ländern zur Verfügung stellen, um so eine flächendeckende digitalisierte Leistungserbringung sicherzustellen.
Beispiel Kaiserslautern: die Stadt hat eine Ideenwerkstatt namens KLdigital eingerichtet, die Konzepte zur Umsetzung digitaler Verbesserungen entwickelt und konkrete Projekte initiiert. So können Straßenlaternen nach Bedarf gesteuert werden oder der öffentliche Nahverkehr wird in nachfrageschwachen Zeiten oder wenig befahrenen Routen optimiert, um unnötige Wege und das Vorhalten nicht benötigter Kapazitäten zu vermeiden. Kaiserslautern hat dabei das Glück, eine Technische Universität zu beherbergen, die bei diesen Entwicklungen aktiv unterstützend tätig ist.
Neben der Digitalisierung ihrer Leistungen und der elektronischen Ausweitung ihres Serviceangebots für ihre Bürger verfügen Kommunen und Gemeinden jedoch noch über weitere Datenschätze, die geradezu nach einer digitalen Aufbereitung schreien: die Angaben in den Kataster- und Liegenschaftsämtern stellen eine umfangreiche Quelle an Informationen dar. In vielen Ländern, wie z.B. in Schweden, aber auch in osteuropäischen Ländern wie Estland, ist eine vollständige elektronische Grundakte eine Selbstverständlichkeit. Informationen im Altlastenkataster, zu Baulasten, zum lokalen Bauplanungs- und Bauordnungsrecht: kann das nicht einfach auf Knopfdruck online verfügbar sein? Wem gehören diese Daten eigentlich – den Ämtern oder den Grundstückseigentümern? Warum kann ein Eigentümer diese Daten nicht einfach einsehen und bei Bedarf – z.B. einem Grundstücksverkauf – herunterladen? Warum vergehen bei Abfragen mehrere Tage Zeit und sind entsprechende Gebühren zu leisten?
Natürlich berühren diese Fragen wichtige Aspekte des Datenschutzes. Wie kann die missbräuchliche Verwendung dieser Daten verhindert werden? Wer garantiert die Richtigkeit dieser Daten? Wie verhindert man Manipulationen?
Diese Fragen sind völlig unstrittig wichtig und müssen mit der allergrößten Aufmerksamkeit und Sorgfalt behandelt werden. Aber sie dürfen nicht als vorgeschobenes Scheinargument verwendet werden. Die Kommunen sind auf dem richtigen Weg und haben die Zeichen der Zeit erkannt. Gerade für kleinere und abgelegenere Gemeinden bietet diese technische Entwicklung großartige Chancen. Über Jahre sind junge Menschen und Familien abgewandert und haben, besonders im Osten, aber auch in strukturschwachen Regionen im Westen, viele Gemeinden verlassen, wo besonders die Älteren zurückbleiben und das Leben für die Verbliebenen oft unattraktiver wird. Schlechte Infrastruktur, mangelhafte Versorgung und lange Wege sind die Folge. Läden haben geschlossen, die medizinische Versorgung ist begrenzt und gerade für kranke und ältere Menschen mit großen Anstrengungen verbunden. Aber gerade in diesem Bereich zeigt die neue Technik, welche Möglichkeiten sie bietet. So bieten mehrere Anbieter Ärzten die Möglichkeit, Videosprechstunden anzubieten. Spezialisten aus größeren Universitätskliniken unterstützen ihre Kollegen in kleineren Krankenhäusern bei der Diagnose oder komplizierteren Operationen und helfen so, die ärztliche Versorgung in kleineren Städten und Gemeinden zu sichern.
Für solche Kommunen bietet die digitale Entwicklung die Möglichkeit, ihre Stärken im Vergleich zu den urbanen Zentren auszuspielen und ihre Nachteile zu relativieren. Im Berliner Umland ist bereits zu beobachten, wie urbane Eliten ins Umland ziehen und dort Ruhe und niedrige Mieten finden. Solange es ein schnelles Internet und ein überall verfügbares WLAN gibt, ist die Welt nicht so fern wie es vielleicht den Eindruck erweckt.
Die Politik hat die Wichtigkeit dieser kommunalen Digitalisierung erkannt und bietet Unterstützung in Form eins umfassenden Förderprogramms. So hat das Bundesinnenministerium zusammen mit der KfW, interessierten Kommunen im Rahmen eines „Smart-City-Projekts“ die Möglichkeit, eigene Digitalisierungsprojekte einzureichen und dafür direkt Fördermaßnahmen zu erhalten[2].
Wie die Corona-Krise gezeigt hat, sind mittlerweile viele – natürlich nicht alle – Tätigkeiten von ihrer räumlichen Gebundenheit befreit. Viele Dienstleistungsberufe verlegen ihre Tätigkeiten ins Internet, viele Büroangestellte könnten auch vom anderen Ende der Welt arbeiten – solange die Datenverbindung steht und die Telefonkonferenz funktioniert.
Natürlich bietet diese Transformation, die live vor unser aller Augen abläuft, auch Risiken. So werden besonders in den kleinen Gemeinden, viele Läden und Einzelhändler die nächsten Jahre wohl nicht überstehen. Lieferdienste wie Amazon haben in den Städten in Zeiten der Schließung vieler stationärer Läden die Versorgung mit nicht-lebenswichtigen Gütern übernommen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dies auch nach Abflauen der Einschränkungen auch weiterhin so bleiben wird. Aber ist das tragisch? Oder Teil einer normalen Entwicklung, die Neues hervorbring und Altes zurücklässt.
Kommunen, Gemeindevertreter und Bürger sollten den „Tiger Digitalisierung“ reiten, statt vor ihm davonlaufen. Viele Städte und Regionen haben diese Herausforderung bereits angenommen und eigene Lösungen im Interesse ihrer Bürger entwickelt. Vielleicht sind die kleinen Läden mit einem sehr beschränkten Angebot tatsächlich nicht mehr überlebensfähig. Aber vielleicht entstehen neue Treffpunkte – nicht nur im Netz, sondern in der analogen Welt. Man verabredet sich zu gemeinsamen Aktionen im Ort, schließt sich online mit Gleichgesinnten kurz und trifft sich an realen Plätzen. Die lokale Verwaltung wandelt sich zu einem virtuellen Dorfanger, wo jeder Bürger sich engagieren kann, Anregungen und Kritik einbringen kann, alle seine Fragen und Bedürfnisse zu den Leistungen der Gemeinde umgehend beantwortet bekommt – vom Parkausweis bis zum Termin der Straßenreinigung.
Wer weiß: vielleicht wird rückblickend die Corona-Krise als großer Beschleuniger angesehen werden, der bereits sich abzeichnende Prozesse vorangetrieben und den Wandel beschleunigt hat. Im Immobilienbereich ist zu erwarten, dass grundlegende Fragen zu den heutigen Formen der Gebäudenutzung gestellt werden, was besonders für Büros zu einer neuen Bewertung führen wird. In anderen Bereichen sorgt eine Veränderung im Nutzerverhalten für eine kritische Prüfung diverser Geschäftsmodelle – besonders in der Hotellerie und im Einzelhandel. Wie bei jedem Wandel wird es auch hier Gewinner und Verlierer geben.
In der kommunalen Verwaltung ist zu erwarten, dass der bereits stattfindende und zudem durch Corona verstärkte Innovationsschub gerade für kleinere Gemeinden und Kommunen einen Sprung nach vorne darstellt. Es werden sich Einstellungen zu technischen Innovationen wandeln und alte Gewohnheiten hinter sich gelassen. Das wäre vielleicht ein positiver Aspekt dieser schwierigen Zeit.
Literatur:
KfW (2020); Chancen – das Magazin für Entscheider in Politik und Wirtschaft; Frankfurt/Main
https://www.bmi.bund.de/DE/themen/moderne-verwaltung/verwaltungsmodernisierung/onlinezugangsgesetz/onlinezugangsgesetz-node.html