Prof. Dr. Hanspeter Gondring FRICS zur Corona Krise

EINE KRISE IST DER AUSGANGSPUNKT FÜR DIE SCHÖPFERISCHE ZERSTÖRUNG DES STATUS QUO

Geschäftsführender Gesellschafter und wissenschaftlicher Leiter der ADI Akademie der Immobilienwirtschaft GmbH

Die Corona-Krise beherrscht unseren Alltag und die Medienwelt. Es scheint, als findet ein Aufmerksamkeits-Wettbewerb statt, in dem jeder versucht, den anderen mit Meinungen und Aktionen zu übertrumpfen. Die Szenarien-Skala reicht von Weltuntergangsszenarien, die an Science-Fiction-Filme erinnern, über Weltwirtschaftsrezession bis hin zur Verharmlosung mit zugehörigen Tipps und Strategien.

„Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen“ (Max Frisch).

Alles ist möglich und alles ist im Angebot

Das Ergebnis ist eine Desinformation und Verunsicherung der Bevölkerung mit der Konsequenz von Hamsterkäufen und anderen panischen Überreaktionen, z.B. das unnötige Abrufen von medizinischen Leistungen, die das ohnehin angespannte Gesundheitssystem zusätzlich belasten. Deshalb handelt jeder gesellschaftlich unverantwortlich, der mit Negativzeilen das kurze Moment der Aufmerksamkeit oder der Schlagzeile für sich ausnutzen will.

 

Das Robert-Koch-Institut zählte am 21.3.2020, 10 Uhr, 20 infizierte Personen je 100.000 Einwohner und 46 Todesfälle (meist ältere und vorerkrankte Personen). Wenn auch der Anstieg exponentiell verläuft, so erfolgt der Verlauf dennoch auf sehr niedrigem Niveau. Und damit das so bleibt, sind Ausgangssperren und andere Verhaltensregeln wie die strikte Vermeidung sozialer Kontakte das Gebot der Stunde. Ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt also, dass jeder Panik und Überbewertung der Situation jegliche Basis fehlt.

 

Ebenso zeigt der Blick in die jüngere Wirtschaftsgeschichte, dass größere Krisen wie die New-Deal-Krise 1929, Ölkrise 1972/1973, Dotcom-Krise 2000, Finanzkrise 2007/2008 nichts Ungewöhnliches sind: Insgesamt gab es nach der Statistik des Internationalen Währungsfonds zwischen 1970 und 2007 weltweit 124 Bankenkrisen, 326 Währungskrisen und 64 Staatsverschuldungskrisen. Die modernen Wirtschaftssysteme haben eine große Resilienz und überwinden jede Form der Krise, was auch immer deren Ursachen sein mag, sehr schnell.

Die Regenerationsphase der heutigen Wirtschaftssysteme liegt zwischen 3 und 15 Monaten.

Selbst wenn jetzt die Börsen durch die Corona-Krise bearish sind, werden sie sich nach der Überwindung relativ schnell erholen. Der entscheidende Faktor dabei ist, wann der “crisis peak” erreicht ist. Die Experten sind sich darüber uneinig. Die Prognosen reichen von 4 Wochen bis 12 Monate. Die ökonomische Regel lautet: je länger die Krise anhält (und Schaden verursacht), umso länger ist die Phase der Rekonvaleszenz. Liegt die Dauer bis zum Peak unter 3 Monaten, werden sich die Märkte bis Jahresende wieder weitgehend stabilisiert haben. Das zeigt auch die Reaktion des Staates, der jetzt mit Milliardenpaketen gerade kleinere und mittlere Unternehmen mit Liquidität ausstattet, um sie über die zu erwartende kurze Krisendauer zu wattieren. Für viele ohnehin ertrags- und kapitalschwache Unternehmen endet die Krise in der Insolvenz, es verkürzt sich nur die Zeitspanne bis zur Insolvenz. Krisen bereinigen auch Märkte.

Krisen haben deshalb nicht nur Negatives, sondern auch Positives. John F. Kennedy sagte anlässlich der Kubakrise:

„Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus 2 Schriftzeichen zusammen – das eine bedeutet Gefahr und das andere Gelegenheit“

Und das lehrt uns auch die Stochastik: Gefahr und Chance sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Warum sehen wir in (sozialen) Medien, bis auf einige wenige Ausnahmen, eigentlich nichts Positives in dieser und anderen Krisen? Dazu gibt es in der modernen wirtschaftswissenschaftlichen Entscheidungstheorie eine verhaltensökonomische Theorie der Risikobewertung.

Menschen neigen in Extremsituationen zu extrem falschen Risikobewertungen und auffälligen Verhaltensanomalien (kognitive Verzerrungen). In der wirtschaftswissenschaftlichen Verhaltensökonomie sind solche Verhaltensanomalien in Krisenzeiten bestens bekannt und beschrieben. Kahnemann und Tversky (Wirtschaftsnobelpreis 2002) veröffentlichten 1979, basierend auf den Arbeiten von Markowitz und des Allais Paradoxon, die weiterentwickelte Prospect Theory.

Beide Autoren sind Psychologen, die in der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts verschiedene ökonomische Verhaltensexperimente durchführten (die sog. Experimentelle Wirtschaftsforschung). Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen und auf die jetzige Krise übertragen (Quelle: vgl. Gondring, H., Versicherungswirtschaft, München 2015, S. 353 -358):

  1. Referenzpunkt-Phase:
    Nicht wie in der tradierten Wirtschaftstheorie (Rationales Verhaltensmodell) wird eine Handlungsalternative nach dem größten Cash Flow oder Vermögenszuwachs gemessen, sondern zuerst an einem Referenzpunkt. Der Referenzpunkt heute ist der wirtschaftliche und emotionale Status (Privatpersonen, Mitarbeiter, Geschäftsführer usw.) vor der Corona-Krise, d.h. alles, was jetzt geschieht wie Ausgangssperren, Umsatzeinbrüche, Absagen von Kongressen, Messen und Veranstaltungen, wird kotiert gegenüber dem Status vor dem Corona-Ausbruch.

  2. Bewertungs-Phase:
    Verschlechterungen des Jetzt-Zustandes gegenüber dem Referenzzustand werden grundsätzlich stärker wahrgenommen als Verbesserungen. Je stärker die Verschlechterung gegenüber dem Referenzzustand ist, um stärker ist die (negative) Wahrnehmung. Der Zustand in der jetzigen Krise wird überdimensional gegenüber dem Referenzzustand z.B. noch im Dezember 2019 wahrgenommen und ist rational nicht mehr zu erklären. Zudem werden die Menschen im Zustand der Verschlechterung risiko- und innovationsfreudiger. Bei vielen Menschen der Bevölkerung werden Überlebensenergien freigesetzt, was zu maßlosen Hamsterkäufen oder zu einer übersteigerten Lebensangst führt. Andere entwickeln Ideen für neue Geschäftsmodelle. Beides beruht aber auf einer falschen Risikobewertung.

  3. Phase der Wahrscheinlichkeitsgewichtung:
    Experimente zeigen immer wieder, dass in Verlust- und Krisenphasen objektiv eher unwahrscheinlichen zukünftigen Ereignissen deutlich höhere Eintrittswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden als objektiv eher wahrscheinlichen Ereignissen. Um es überspitzt auszudrücken: Dem Eintritt einer Weltrezession (die objektiv gesehen eher eine niedrige Eintrittswahrscheinlichkeit hat) wird subjektiv eine größere Eintrittswahrscheinlichkeit zugeordnet als der Tatsache, dass sich die Weltwirtschaft nach der Corona-Krise wieder sehr schnell erholen wird.

Auf dieser Basis wurden sehr viele Anomalien empirisch beobachtet, wie z.B.

  • Ankerheuristik (anchoring effect): selbst falsche Meinungen werden zu selbsterfüllenden Prophezeiungen, auch dann, wenn die Meinung von Dritten übernommen wurde, die nicht mehr wussten als man selbst; Verzerrung entsteht durch einen willkürlichen und fehlinformierten Startpunkt, von dem ausgehend der Einzelne seine Meinung entwickelt.
  • Status-Quo-Bias: Menschen neigen dazu, den jetzigen Status beizubehalten anstatt diesen zu ändern, weil Informationen über die Alternativen als ungewiss und damit risikoreich gewertet werden (daraus ergibt sich die Schwerfälligkeit der Menschen bei geforderten Veränderungen, d.h. sobald die Corona-Krise vorbei ist, kehren die Menschen und die Unternehmen wieder in ihren Referenzzustand zurück)
  • Reduktionsaxiom: bei der Bewertung von Informationen werden nur die herausgenommen, die den Unterschied zwischen dem Jetzt-Zustand und dem Referenz-Zustand ausmachen; andere Informationen (die sowohl im Referenz-Zustand als auch im Jetzt-Zustand gleich sind) werden dagegen unterdrückt, sodass z.B. die Tatsache, dass es in den letzten Jahren schon immer eine höhere Mortalitätsrate bei Influenza, multiresistenten Krankhauskeimen oder SARS-Viren Erkrankten (gleicher Personenkreis wie ältere Menschen, vorerkrankte Menschen usw.) gegeben hat, weitgehend unterdrückt wird.

“Jede Krise ist der Ausgangspunkt für die schöpferische Zerstörung des Status Quo und der Entwicklung zu neuen Produkten, Geschäftsmodellen und Innovationen. Die Zeit nach jeder Krise war besser als die Zeit vor der Krise” (im Sinne von Schumpeter).

Meine Bitte an Sie: Bleiben Sie kreativ, erkennen Sie Chancen und vor allem: bleiben Sie gesund.

Ihr Hanspeter Gondring